Seilbahnen für Indien
Indien
SEILBAHNEN FÜR INDIEN
Heilige Tempel, dichte Dschungel, vierspurige Straßen voller Menschen, Fahrzeuge und Tiere, bis zu 45 Grad im Schatten und konstantes Gehupe: Salzmann Ingenieure hat gemeinsam mit der BERNARD Gruppe aus Hall in Tirol den Sprung nach Indien gewagt. Gemeinsam prüfen die beiden Spezialisten geeignete Standorte für Seilbahnen auf dem Subkontinent und waren bei gleich zwei Leuchtturmprojekten federführend in die Planung involviert.
In der „ewigen Stadt“ Varanasi sorgte das Joint Venture für die rasche Realisierung der ersten urbanen Seilbahn des Landes. Sie wird ab Mai 2025 stündlich 3.000 Pilger:innen zum berühmten Kashi-Vishwanath-Tempel führen. Gleich drei Linien mit 14 Kilometer Streckennetz entstehen in der Bergstadt Shimla. Das Seilbahnsystem soll das Leben der Menschen auf über 2.000 Meter Seehöhe deutlich erleichtern.
Start ins Abenteuer
Für das Team von Salzmann Ingenieure begann alles mit einem Anruf der BERNARD Gruppe. Das international tätige Ingenieurbüro aus Hall in Tirol plante die Teilnahme am gigantischen Infrastrukturvorhaben „Parvatmala“ der indischen Regierung und war auf der Suche nach einem Partner mit Seilbahn-Kompetenz. Markus Türtscher von der BERNARD Gruppe wählte im November 2021 die Nummer von Stephan Salzmann und erzählte vom 3,5 Milliarden schweren Seilbahn-Investitionsprogramm der staatlichen National Highways Logistics Management Limited (NHLML).
Während die BERNARD Gruppe mit ihrem lokalen Standort in Delhi die Projektsteuerung und alle baulichen Agenden übernehmen würde, wäre Salzmann Ingenieure für die Konzeption der Seilbahntechnik zuständig. In der ersten Stufe sollten Ideen für potenzielle Standorte geprüft und Machbarkeitsstudien erstellt werden. Dazu kam schon bald das Leuchtturmprojekt in der Pilgerstadt Varanasi und später folgte die Bergstadt Shimla. „So eine Chance kommt vielleicht nur einmal im Leben. Indien ist mit seiner topografischen und urbanen Struktur wie geschaffen für Seilbahnen: wenig Raum, viele Menschen, Dschungel und Berge“, erzählt Stephan Salzmann.
Das gesamte Team war sofort fasziniert. „Natürlich hatten wir auch Bedenken. Wir sind Experten für Seilbahnen, darin sind wir seit 50 Jahren wirklich gut. Aber wir waren noch nie außerhalb Europas tätig. In Indien würden uns viele kulturelle, sprachliche, klimatische, behördliche und baurechtliche Eigenheiten erwarten. Die Teilnahme an der Ausschreibung war auch ein Sprung ins Ungewisse“, sagt Salzmann. Gemeinsam mit der BERNARD Gruppe gründete das Unternehmen ein Joint Venture – und erhielt den Zuschlag.
Projektvalidierung von Norden bis Süden
Rund 300 Standorte wurden von den Bundesstaaten und Unionsterritorien für das „Parvatmala“-Programm eingereicht. Salzmann Ingenieure und der BERNARD Gruppe wurden bislang 20 davon für die Machbarkeitsprüfung zugeteilt. „Das hat uns die enormen Dimensionen des Vorhabens nochmals deutlich vor Augen geführt“, erinnert sich Salzmann. Die potenziellen Standorte erstrecken sich vom äußersten Norden im Unionsterritorium Ladakh bis zum südlichsten Bundestaat Tamil Nadu. Über 3.500 Kilometer liegen zwischen den Projekten. Sie reichen von Verkehrsentlastungen im urbanen Raum über die Regulierung von Pilgerströmen bis zu touristischen Angeboten. Manche Strecken sind nur wenige hundert Meter lang, andere ziehen sich über mehrere Kilometer. In der sogenannten „Pre feasibility“ werden Standorte, Verkehrssituationen und Besucher:innenströme analysiert.
„Da ist vom Bergtempel auf 3.000 Meter Seehöhe bis zur Anlage im Dschungel alles dabei“, berichtet Marie Bach. Bei der Bewertung der Machbarkeit spielen neben geografischen auch eigentumsrechtliche und religiöse Faktoren eine Rolle. „Die Tempelobersten bestimmen bei der Trassenplanung mit und haben oft das letzte Wort. Kraftlinien dürfen nicht gestört werden. Sensibel sind auch Bäume – vor allem in Naturreservaten. Für die Errichtung von Stützen muss aber bekanntlich hin und wieder gerodet werden. Manchmal schaltet sich auch das Militär ein und Flugverbote erschweren Luftaufnahmen und Messungen mit Drohnen“, gibt Stephan Salzmann Einblicke in unerwartete Herausforderungen.
Neben „Pre feasibility“-Studien ist das Joint Venture mit zwölf Planungsprojekten betraut und erstellt bei diesen „Detailed Project Reports“ (DPR) die Generalunternehmerausschreibungen (Build & Operate). Sicherheit ist dabei ein zentrales Thema. Während bei Großprojekten europäische Normen gelten, fehlt bei kleineren Anlagen noch ein vergleichbarer nationaler Standard. „Wir orientieren uns an Europa und lösen Sicherheitsthemen vor allem durch konstruktive Elemente wie die integrierte Räumung“, betont Stephan Salzmann.
Pilgerströme über den Dächern von Varanasi
Varanasi im Bundesstaat Uttar Pradesh zählt mit über 3.000 Jahren zu den ältesten noch heute bewohnten Städten der Welt. Die heilige Stadt am Ganges gilt als Heimat des Gottes Shiva, wird jährlich von Millionen Pilger:innen besucht und beherbergt rund 2.000 Tempel. Das Herzstück der religiösen Verehrung ist der Kashi-Vishwanath-Tempelbezirk mit den Ghats am Ganges. Dorthin pilgern täglich mehr als 90.000 Menschen – eine beinahe unvorstellbare Menge. Bisher führte der Weg zu den heiligen Stätten zu Fuß durch überfüllte Straßen voller Autos, Motorroller und Rikschas. „Bei der Besichtigung war höchste Vorsicht angesagt. Wer das nicht gewohnt ist, begibt sich in Lebensgefahr“, erzählt Salzmann.
Ein ambitioniertes Seilbahnprojekt vom Bahnhof „Varanasi Cantt“ bis zum Tempelbezirk und zur Station „Godowalia Chowk“ soll genau das ändern. Die Kashi-Seilbahn ist die erste urbane Seilbahn Indiens. Das Leuchtturmprojekt des „Parvatmala“-Programms wurde von Premierminister Narendra Modi persönlich vorangetrieben. Nach der Vorplanung geriet das Projekt allerdings ins Stocken und da kamen Salzmann Ingenieure und die BERNARD Gruppe ins Spiel. Unmittelbar nach der Vergabe der ersten Projekte an das Joint Venture wurde die Seilbahn für Varanasi als prioritäres Projekt zusätzlich beauftragt. „Wir mussten augenblicklich ins Flugzeug steigen. Unsere Arbeit war Teil der Generalunternehmerausschreibung“, erinnert sich Stephan Salzmann. Dazu zählten nach der Wirtschaftlichkeitsberechnung die komplette Seilbahnprojektierung und -planung sowie die Gebäudeplanung, Statik und das Gründungskonzept.
Während die Standorte für die Stationen schon fixiert waren, galt es nun, die geeignete Trasse über den Dächern der Altstadt zu finden. Keine leichte Aufgabe bei den vielfältigen Besitzverhältnissen. Eine Besonderheit des indischen Rechts vereinfachte die Situation. „Seilbahnen werden wie Hochspannungsleitungen behandelt. Wenn über das Grundstück gefahren wird, gibt es eine Abschlagszahlung. Somit braucht es für die Errichtung nur das Baurecht für die Stützenstandorte“, erklärt Salzmann. Das Team suchte also nach kleinen Grundstücken im Staatsbesitz wie Straßen und Verkehrsinseln. Die Herausforderung: Am Ende musste sich daraus eine gerade Linie mit regelmäßigen Abständen ergeben.
Nach fünf Wochen stand die Grundstruktur. Unterstützung gab es auch von staatlicher Seite: „Das große politische Interesse war immer spürbar und mitentscheidend für die rasche Realisierung“, so Salzmann. Über vier Teilstrecken und fünf Stationen verläuft die insgesamt 3,7 Kilometer lange Strecke. Sie fügt sich parallel zu den Hauptverkehrsadern harmonisch in den historischen Bestand ein. 29 Stützen mit bis zu 46 Meter Höhe halten die Seilbahn über den Dächern. Mit dem Spatenstich von Premierminister Modi startete im März 2023 der Bau. Schon im Mai 2025 werden die ersten Pilgerströme in den rund 150 topmodernen 10er-Kabinen befördert – 3.000 Personen pro Stunde und das 16 Stunden am Tag. Mittlerweile ist in Varanasi ein gesamtes Streckennetz mit mehreren Sektionen vorgesehen. Derzeit ist das Joint Venture mit den Planungen für die zweite Ausbaustufe vom Bahnhof Cantt bis zum Namo Ghat beschäftigt.
Zeitdruck im bergigen Shimla
Die Stadt wird die „Königin der Hügel“ genannt und schon der erste Blick verrät, warum. Shimla schmiegt sich an die Hänge des mittleren Himalayas. Rund 170.000 Menschen wohnen in der Hauptstadt des Bundesstaats Himachal Pradesh auf mehr als 2.000 Meter Seehöhe. Dazu kommen jährlich um die drei Millionen Tourist:innen – Tendenz steigend. Shimla liegt nicht einfach nur in den Bergen, die Stadt ist auf eine Bergkette gebaut und erstreckt sich über 15 Hügel. Zwischen den Häusern geht es schon mal mehr als 150 Meter steil hinab. „Als würde man Innsbruck auf die Nordkette verlegen“, schildert Stephan Salzmann. Die ideale Topografie für eine Stadtseilbahn. Das sah auch die lokale Verkehrsbehörde so und wandte sich an das inzwischen bekannt gewordene Joint Venture.
„Es gab kaum Vorgaben, nur einen sehr strengen Terminplan. Das war eine sehr intensive Zeit“, berichtet Marie Bach. Sie begann im März 2022 beim Bregenzer Ingenieurbüro und war von Anfang an gefordert. Für die optimale Trassenführung durch Wohngebiete, Eichen-, Zedern- und Kieferwälder wurden alle Optionen durchdacht – stets unter Berücksichtigung der bereits bekannten Standortproblematik für Stützen und Stationen. Wie in Varanasi wurden öffentliche Grundstücke identifiziert. Nach nur einem Monat Planung präsentierte das Team ein Seilbahnnetz mit drei Linien, 15 Teilstrecken und einer Gesamtlänge von etwa 14 Kilometern. Die Projektierung war die Basis für die derzeit laufende Generalunternehmer-Ausschreibung. Läuft alles nach Plan, soll es schon 2024 mit dem Bau losgehen.
Voller Teameinsatz
Das große Abenteuer Indien hat Salzmann Ingenieure bisher als starkes Team gemeistert. Geschäftsführer Stephan Salzmann und Planer Jörg Egger bekamen dabei schon bald Unterstützung. Marie Bach ist seit ihrem ersten Arbeitstag die Schnittstelle zum Team der BERNARD Gruppe in Indien und bewahrt den Überblick über den stetig wachsenden Berg an Aufgaben und die wechselnde Auftragssituation. Loris Rau begann erst im April 2023 bei Salzmann Ingenieure und war gleich zu 100 Prozent ins Projekt Shimla involviert. Für Stephan Salzmann waren die vergangenen Monate der Beweis für die Kraft der Zusammenarbeit: „Gemeinsam schaffen wir mehr und haben noch viel vor. Das ist erst der Anfang unserer Reise in Indien.“